Mama sein von 0 auf 100

Mama sein von 0 auf 100

8. Oktober 2018 0 Von Kathrin

„Hilfe! Hilfe! Ich will hier wieder raus! Wo um Himmels Willen ist der Ausgang?“, das ging mir nicht selten durch den Kopf, als ich zum ersten Mal Mama geworden bin. Na klar, mein Leben hatte sich komplett geändert. Einst stand ich gegen 7 Uhr auf, genoss in Ruhe meinen Morgen, setzte mich, hübsch gestylt, in meinen roten Seat Ibiza, der mir hervorragend stand, kaufte mir auf dem Weg zur Arbeit ein Baguettebrötchen mit viel Remoulade und einen Latte, drehte die Musik auf und fuhr „in die große Stadt“, na ja, immerhin nach Koblenz. Dort gab es jeden Tag neue, mal mehr, mal weniger aufregende Geschichten, Menschen, Erfahrungen. Auf jeden Fall viel Trubel, viele junge Menschen und jeden Tag viel zu erzählen und zu erleben. Am Abend traf ich mich mit Freunden oder Kollegen, zog durch die Stadt, trank und rauchte zu viel.

Cortisol bis zu den Ohren

Und plötzlich saß ich da. Von Null auf Hundert innerhalb eines Augenaufschlags, bzw. einer Spinalanästhesie. Allein mit zwei Babys, im Hunsrück, in einem 5000-Seelen-Ort, in dem ich im Grunde niemanden kannte, weil ich bisher in meiner Freizeit erfolgreich geflüchtet war. Dorfleben war nämlich eigentlich nie so mein Ding.
Den halben Tag verbrachte ich mit Zwilli Nr.1 und Nr.2 auf meinem Sofa auf meinem Stillkissen. Stillen, wickeln, schlafen. Ach, und zwischendrin natürlich noch zwei Babys komplett umziehen, schließlich hatten sie sich entweder über und über bespuckt oder der süßlich riechende, orangefarbene Stillstuhl quatscherte den gesamten Rücken bis zum Haaransatz hoch. (Unser Verbrauch an Gallseife war in dieser Zeit unermesslich hoch!) Manchmal überlegte ich schon, die Umwelt strapazierenden Wegwerfwindeln einfach direkt weg zu lassen, brachten ja irgendwie eh nix. Also: Stillen, wickeln (umziehen), schlafen. Weil das nicht alles sein konnte, ging ich die andere Tageshälfte über spazieren. Meine Oma predigte schließlich schon: Die Kinder gehören an die frische Luft. Also: Alle anziehen und dumm durch die Gegend latschen. Der Spaßfaktor dabei hielt sich allerdings auch in Grenzen, schließlich konnte ich mit Zwilli 1 und 2 noch nicht quatschen und tolle Dinge zu bestaunen gab es damals für mich in unserem Ort auch nicht. Davon mal ganz abgesehen entwickelten sich Zwilli 1 und 2 nach Überschreitung der 3-Monats-Grenze, in der meine Babys sich eigentlich dauerhaft im Koma befanden (Glücklicherweise! Was liest man nicht alles über sogenannte Schreibabys? Ahhhhh!), zu echten Kinderwagen-Hassern.
Nach kurzer Zeit des Schiebens konnte man Minimum aus einer Seite des von den beiden so verhassten Bugaboo Donkeys ein kreischendes Schreien hören. Also endeten meine Spaziergänge zwischen Lebensmonat 4 und 7 nicht selten mit mindestens einem Baby im Arm oder gar an der Brust, den Kinderwagen mit der Hüfte schiebend, die Hundeleine irgendwo reingeklemmt und ständig mit dem armen, kleinen Pekinesen schimpfend, weil er vorm Kinderwagen von links nach rechts und wieder nach links watschelte und die Leine permanent drohte, sich um die Räder des Wagens zu wickeln. Was übrigens nicht selten passiert ist. Und dann hieß es: Anhalten, schreiende(s) Baby(s) in den KiWa legen und das Wirrwarr bereinigen – mit dem Schreien des Kindes im Nacken, das meinen Stressfaktor ins Unermessliche steigen ließ. Auch so ein Punkt: Eigentlich gehöre ich (mittlerweile zum Glück wieder) zu den Glückspilzen, die ein hohes Stresslevel nicht kennen. Relativ gechillt schlenderte ich bisher durch mein Leben. Doch sobald einer meiner beiden Wonneproppen nur ein leises „Äh“ von sich gab, raste mein Herz und ich fühlte mich hemmungslos gestresst. Und obwohl Zwilli 1 und 2 eigentlich nicht viel schrien, so war mein Cortisol-Spiegel im ersten Lebensjahr der beiden immer am Anschlag.

Und warum hatte mich niemand gewarnt?

Oft fragte ich mich in dieser Zeit, wieso mir niemand gesagt hat, wie es ist, Mama zu werden. Wieso hatte mir niemand von dieser Welle der Überforderung, die alle 5 Minuten über dich hereinbricht, erzählt? Auf den Fotos in Familienzeitschriften sieht man stets perfekt gestylte Mamis mit ihren lachenden Kiddies, alle sitzen vergnügt in ihren hübsch eingerichteten und aufgeräumten Häusern. Papa kommt von der Arbeit nach Hause, schmeißt die Hosenscheißer in die Luft, gibt Mama einen heißen und innigen Kuss und alle wirken einfach nur zufrieden und ausgeglichen. Und davon war ich seit der Geburt der ersten Zwillinge meilenweit entfernt. So hatte ich mir das irgendwie nicht vorgestellt.

No way out

Und das paradoxe an der Geschichte ist, dass ich gar nicht raus wollte. Obwohl ich es so sehr wollte. Ich wollte einerseits einfach nur weglaufen, andererseits hätte ich mich noch nie freiwillig weiter als 5 Meter von meinen Babys wegbewegt. Es hätte durchaus die Möglichkeit gegeben, die Kleinen mal für ein Stündchen „loszuwerden“. Papa war spaziergehwillig, Oma und Opa hatte ich direkt im Haus, die hätten im Notfall mit Sicherheit mal kurz übernommen. Aber ich konnte nicht. Sobald Zwilli 1 und 2 mal nicht bei mir waren, tigerte ich wie eine Stute, der gerade das Fohlen geklaut wurde, durch die Gegend und war todunglücklich. An Schlaf, zum Beispiel, war nicht zu denken. Auch wenn ich in den letzten Nächten im Höchstfall mal 3 Stunden Schlaf bekommen hatte (natürlich nicht zusammenhängend, versteht sich), ich fand keine Ruhe. Die einzige Chance für mich, ein wenig zu entspannen, war, wenn Zwilli 1 und 2 friedlich neben mir schlummerten. Und ich gluckenmäßig quasi auf ihnen hocken und sie bewachen konnte. Wie eine Henne auf ihrem Ei. Aber wehe, einer bewegte sich ein bisschen im Schlaf – prompt war ich hellwach.
Tja, und so schlich das erste Lebensjahr da hin. Und glaubt mir, es schlich wirklich. Die Zeit kam mir ewig lang vor. Während unserer täglichen Sofa-Sitz-Still-Und-Schlaf-Sessions googelte ich, was das Zeug hielt, jeden möglichen Kinderkram. „Wann kann ein Baby durchschnittlich…“, war der Hauptanfang meiner Suchanfragen. Denn ich sehnte mich nach der Zeit, in der die beiden endlich wenigstens krabbelten, robbten, saßen oder gar liefen. Und das taten Zwilli 1 und 2 verdammt spät. Zumindest ergab das meine Google-Recherche. Sie wollten mich zappeln lassen und quälen mit ihrer Unzufriedenheit mangels eigenständiger Fortbewegung und verlangten mir lange ganz schön viel ab. Dass ich in dieser Zeit locker 15 Kilo zunahm, versteh ich nicht. Wobei, angesichts der 3 Tafeln Schokolade und meines Stillzeit-Favoriten, Mars-Eisriegel, und zwar einer ganzen Packung davon pro Tag, vielleicht doch.
Und so entwickelte ich mich also zu einer fetten, ungepflegten Gluckenmama, die in furchtbaren Klamotten, permanent nach Babykotze stinkend, mit höchstem Stresslevel, völlig im Tunnel durch die Gegend lief. Mit ihren zwei Babys und ihrem Hund. Total überfordert und nicht glücklich. Trotzdem hätte ich Zwilli 1 oder 2 niemals wieder hergegeben. Niemals!