Vergleiche nicht! = Denk jetzt nicht an einen rosa Elefanten!

Vergleiche nicht! = Denk jetzt nicht an einen rosa Elefanten!

4. November 2018 0 Von Kathrin

Wie heißt es so schön? Vergleiche deine Kinder nicht miteinander! Jedes Kind ist einzigartig und hat seine eigenen Schwächen und Stärken, die es ausmachen. Ich behaupte jetzt einfach mal: Quatsch! Alle Eltern vergleichen. Das beginnt schon im Mutterleib. Welche Schwangerschaft war beschwerlicher? Welches Kind wog bei Geburt mehr? Welche Geburt war härter? Bei welcher Schwangerschaft bekam die Mutter mehr Kilos auf die Rippen? Gebärt eine Frau allerdings ganz „gewöhnliche Einlinge“ im Abstand einiger Jahre, dann ist die Erinnerung vielleicht nicht mehr ganz so frisch und das Vergleichen des Entwicklungsstands fällt schwerer. Wenn du aber zwei Kinder zeitgleich auf die Welt bringst, dann ist es schier unmöglich, nicht zu vergleichen. Du bekommst zu deinem Baby direkt ein Referenzobjekt geliefert. Hallo? Natürlich vergleiche ich. Zwilli 2, zum Beispiel, hatte einen Nabelbruch kurz nach der Geburt. Nichts Dramatisches, aber das wusste ich ja nicht, schließlich ist man ja nicht von Geburt an Mutter. Als ich den hubbeligen Bauchnabel entdeckte, wanderte mein Blick sofort zum Bauchnabel von Zwilli 1. Vielleicht ist das ja normal? Nein, bei ihm sieht das nicht so aus, also ab zum Dok. Oder direkt bei der Geburt: Zwilli 1 schimpfte sofort los, alles wie heute also. Zwilli 2 war erst einmal ruhig. Also fragten mein Mann und ich die Ärzte sofort, ob mit Zwilli 2 alles okay sei. Ohne Zwilli 1 hätten wir zu einem stillen Neugeborenen wahrscheinlich nichts gesagt, weil uns nicht einmal aufgefallen wäre, dass es auch anders geht. Und so setzt sich das Ganze fort und wird sich wahrscheinlich durch das gesamte Leben von Zwillingen ziehen. Automatisch vergleicht einfach jeder. Gehe ich mit den Mädels spazieren und beginne irgendwo ein typisches Zwillingsgespräch, dann dauert es nicht lange und es kommt das standardmäßige: „Oh, die eine ist aber viel properer als die andere.“. Halt! Stopp! Ihr anderen dürft nicht vergleichen! Das darf nur ich und zwar heimlich, still und leise für mich oder unter vier Augen mit meinem Mann. Denn wenn andere das tun und es mir auch noch verbal mitteilen, dann mag ich das gar nicht. Denn die anderen scheinen zu vergessen, dass Kinder auch hören können. Zwilli 1 und 2 sind in einem Alter, in dem sie fast alles verstehen können. Okay, Debatten darüber, wie eine rechtsradikale Schwachsinns-Partei wie die AFD in den jüngsten Wahlergebnissen so viele Stimmen bekommen kann, vielleicht noch nicht. Aber einfache Sätze wie: „Der eine ist aber viel aufgeschlossener als der andere.“ oder größer oder kleiner oder dicker oder dünner oder blonder oder was auch immer, das verstehen sie schon. Und bei Geschwistern sowieso, bei Zwillingen aber mit Sicherheit um ein Vielfaches mehr, spielt der Konkurrenzkampf eine große Rolle und prägt die frühe Entwicklung ungemein. Wir Menschen vergleichen wohl stets, klar. Ich vergleiche den Po der Nachbarin mit meinem, wie sich die anderen Frauen im Sportkurs im Fitnessstudio im Vergleich zu mir so anstellen und, und, und. Das hilft uns bei der Orientierung im Leben. Als ich zum ersten Mal Mutter wurde, verglich ich wie blöde. Im PEKiP verglich ich genau Größe, Breite und Fähigkeiten meiner Babys im Vergleich zu den anderen Hosenscheißern. Ich war so unerfahren und wollte ein eventuelles Entwicklungsdefizit auf keinen Fall zu spät registrieren. Denn je schneller ich ein solches erkenne, umso schneller kann ich Fördermaßnahmen ergreifen. Ist ja theoretisch auch kein schlechter Ansatz. In der Praxis steckt hinter dem Vergleichen aber leider ein kleines Teufelchen: Der Leistungsdruck. Vergleichst du nur, um des Vergleichens Willen, und ziehst daraus keinerlei Schlüsse, dann ist an dem Vergleichen an und für sich nichts verkehrt. Aber wer tut das schon? Stelle ich beim Vergleichen fest, dass ich den Kürzeren ziehe, ist das in irgendeiner Form ein Negativmoment. Wenn der Hintern meiner Nachbarin viel knackiger ist als meiner, dann denke ich kurz, dass ich auch gern einen solchen Po hätte. Auch wenn ich im nächsten Moment denke: „Ach na ja, dafür habe ich einen Hochschulabschluss und sie ist nur Zahnarzthelferin.“ oder irgendetwas anderes, dass mich aus einem Negativgefühl zieht, so gab es diesen kurzen Moment, in dem ich mich vielleicht minderwertig gefühlt habe. Und wie sollen die kleinen Gehirne unserer Kinder damit umgehen können? Womit sollen sie diese vielen, kleinen, defizitären Feststellungen ihrer Mitmenschen kompensieren?

Huhn oder Ei?

Im Fall unserer Kinder sind es stets die gleichen Dinge, die unser Umfeld anmerkt. Bei Zwilli 1 und 2 heißt es: „Oh, Zwilli 2 ist aber ein ganzes Stück größer als Zwilli 1!“. Ja, das stimmt. Und ja, das ist wahrscheinlich nicht böse gemeint. Oft suchen Fremde ein Merkmal, an dem sie die Kinder auseinanderhalten können. Wobei ich mir in diesem Fall immer denke: „Mach einfach die Augen auf! Die sehen total verschieden aus!!!“. Aber gut, manche Kinder erkenne ich auch nur daran, dass sie an der Hand ihrer Eltern daher spaziert kommen. Das ist natürlich schlecht, wenn gleich zwei im gleichen Alter im Anmarsch sind. Dennoch bekommen Zwilli 1 und 2 diese Aussage permanent zu hören. Und seitdem ihre Synapsen ein wenig mehr miteinander verknüpft sind, ist das Thema Größe gerade bei Zwilli 1 enorm wichtig. Alles wird verglichen: „Mein Stock ist größer als deiner!“, „Mein Penis ist größer als deiner!“, „Meine Essensportion ist größer als deine!“, usw. Wenn ich nun wiederum andere Kinder in dem Alter vergleiche, dann sehe ich, dass dieses Vergleichen überall eine Rolle spielt. Im Fall meines Zwillis 1 jedoch schon eine besondere. Der Beste sein zu wollen ist ihm ein kleines Bisschen wichtiger, als es mir lieb ist. Nun sind wir allerdings wieder bei der Huhn oder Ei?-Frage. Kommt dieses Verhalten von dem dauerhaften Beschuss mit der Größeninfo im Vergleich zu seinem Bruder durch das soziale Umfeld oder bringt er das ständige „Das Gras beim Nachbarn ist grüner-Denken“ als Teil seiner Persönlichkeit einfach von Geburt an mit? Was beeinflussen wir bei unseren Kindern und was wäre ohnehin so gekommen? Die Gretchen-Frage in der Erziehung.

Da es leider mühsam ist, darüber nachzudenken, versuche ich kritische Situationen im Alltag mit Kreativität zu lösen. Bemerkt der Größen frustrierte Zwilli 1 zum Beispiel, dass er irgendwo nicht rankommt, sein Bruder aber schon, dann erkläre ich ihm, dass er sich dafür viel besser ducken und in enge Dinge kriechen kann und dass er bei den Indianern der Beste in Sachen Anschleichen gewesen wäre. Dabei muss ich jedoch Acht geben, dass sich Zwilli 2 nicht auf den Schlipps getreten fühlt, denn er will ja auch ein guter Indianer sein. So gebe ich mir ganz viel Mühe, das Lob nach allen Seiten gerecht zu verteilen und freue mich innerlich bereits auf die Zeit, in der Zwilli 3 und 4 auch anfangen zu vergleichen. Ich selbst stamme aus einer Patchwork-Familie, in der Lob und Kritik alles andere als gleich verteilt wurden. Ich hatte das Glück, als Bindeglied mit beiden leiblichen Eltern aufzuwachsen und als Nesthäkchen in Sachen Beliebtheit immer ganz oben zu schwimmen. Und aus mir ist ein ziemlich selbstbewusster Mensch geworden. Nicht immer, wer ist schon in jeder Lebenslage selbstbewusst, aber im Großen und Ganzen geht mir die Meinung Fremder komplett am Allerwertesten vorbei. Bei meinen Geschwistern sieht die Sachlage da schon anders aus. Ich bin mir sicher, dass die beiden sich nicht immer bedingungslos geliebt gefühlt haben. Und heute, im fortgeschrittenen Erwachsenenalter haben sie ihre Mitte noch nicht so wirklich gefunden. Auch hier stellt sich natürlich wieder die Frage: Was kommt woher? Sind sie einfach Menschen, die immer das Gefühl haben, jemandem etwas beweisen zu müssen, oder kommt das von der ständigen Bevorzugung ihrer kleinen, verwöhnten Schwester?

Wie dem auch sei, das Risiko möchte ich bei meinen Kindern nicht eingehen. Also versuche ich, keine Vergleiche zu äußern. Nur in der ganz großen Not, wenn wir es wirklich eilig haben, dann rutscht mir doch mal ein: „Schau mal, dein Bruder hat seine Schuhe schon an!“ über die Lippen. Das sorgt dann so ungemein für Tempo und Elan. Und hey, ich bin ja auch nur ein Mensch…