Wie eine Geburt ganz okay werden kann

Wie eine Geburt ganz okay werden kann

14. Oktober 2018 0 Von Kathrin

Wollen wir mal ganz ehrlich sein: Geburten sind scheiße! Und das sehe nicht nur ich so, das haben mir bisher unzählige Gespräche mit Müttern bestätigt. Wirklich die aller-, aller-, aller-, allerwenigsten setzen bei diesem Thema ein Honigkuchengrinsen auf und hauchen ein sanftes „schööööööööööööön“. Soll`s wohl geben, hab ich so aber noch nicht erlebt. Ein bisschen differenzieren muss man aber: Die erste Geburt ist die schlimmste. Bei den folgenden weiß man in etwa, was auf einen zukommt, deshalb werden sie manchmal weniger ätzend. Wie eine Geburt aber doch ganz okay werden kann, das hab ich bei der zweiten erlebt. Diese Erfahrung muss ich unbedingt teilen, allerdings müssen wir dazu zurück zum Urschleim und mein Geburtstrauma, das ich mittlerweile aber gut verarbeitet habe, noch einmal durchleben. Gemeinsam. Los geht’s:

Wo soll entbunden werden?

Der Ort, an dem entbunden werden soll, ist sehr entscheidend. Ich denke, je wohler und sicherer Frau sich fühlt, desto geschmeidiger öffnet sich der Muttermund. Ich wollte wahnsinnig gern in ein Geburtshaus gehen. Ich finde Krankenhäuser scheußlich. Sie sind kalt, unromantisch und haben für mich immer einen Hauch von Tod, auch wenn ich bisher noch überhaupt keine Erfahrungen mit ihnen machen musste. Ich suchte mir zur Geburtsvorbereitung ein Geburtshaus aus und besorgte mir für die Nachsorge auch direkt die Hebamme aus diesem Haus aus, die mir am sympathischsten erschien. Für die Geburt selbst waren mein Mann und ich für ein Geburtshaus allerdings zu feige. „Gerade mit Zwillingen kann doch so viel schief laufen und dann bist du nicht schnell genug im Krankenhaus und deine Kinder tragen lebenslangen Schaden.“, meinte unser Umfeld einhellig. Und so starb die Idee, in einem freundlichen, liebevollen Umfeld zu entbinden.
Krankennhäuser bieten regelmäßig Informationsabende an, in denen der Chef der Geburtsmedizin spricht und Führungen durch die Kreißsäle angeboten werden. Also besuchten wir einige davon, waren uns aber schnell einig, dass es das nächstgelegene Krankenhaus mit integrierter Kinderklinik werden soll. Wir wollten ja auf Nummer sicher gehen.

Wie wird es wohl losgehen?

Ich glaube, jede Frau malt sich im Vorfeld die Geburt ihres Kindes aus. Sie stellt sich vor, wie sie das erste Mal ihr Kind in den Armen hält, der frisch gebackene Papa die Nabelschnur durchtrennt und alle glücklich sind. Fast jede Frau erhofft sich eine schnelle, aber nicht zu schnelle, möglichst nicht übertrieben schmerzhafte Spontangeburt ohne Komplikationen in den liebevollen Händen eines Krankenhausteams, bei dem sie sich wohl und beschützt fühlt in diesen Stunden der Verletzlichkeit und des Kontrollverlusts. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ich (gaaaaanz anders als die meisten anderen Zwillingsmütter) ein/zwei Tage über dem Termin bin, friedlich in meinem Bett schlummere, bis die Fruchtblase platzt und ich zu meinem Mann die klassischen Worte sagen darf: „Schatz, es geht los!“. Dann packen wir in Ruhe die letzten Sachen und machen uns auf ins Krankenhaus. Ohne PDA verbringe ich die restliche Nacht in den Wehen, bis am Morgen Zwilli 1 und 2 in meinen Armen liegen. Es sollte jedoch alles anders kommen. Deshalb ganz wichtig: Erwartungen runterschrauben und mit allem rechnen. Im Leben ist es ja häufig so, dass die Dinge ganz gut werden, wenn wir sie uns im Vorfeld nicht so sehr rosarot malen.
Ich bekam in einer Nacht, etwa 4 Wochen vor errechnetem Termin, starke Rücken-und Oberbauchschmerzen. So stark, dass ich kaum stehen, sitzen oder liegen konnte. Alle Versuche meines Mannes, mir den Schmerz weg zu massieren oder streicheln, schlugen fehl. Also fuhren wir ins Krankenhaus. Dort wurden die üblichen Untersuchungen gemacht: CTG, Blut, Urin, etc.
„Ihre Thrombozytenwerte sind grenzwertig. Könnte ein HELLP-Syndrom werden.“, so die niederschmetternde Aussage der Ärzte. Thrombozyten sind Blutblättchen, die eine entscheidende Rolle bei der Blutgerinnung spielen. Der Mensch verfügt normalerweise über ca. 150.000–450.000 Thrombozyten pro µl Blut, erst ab einem Wert von unter 80.000/µl spricht man von medizinisch relevanten Daten. Meine Thrombozyten dümpelten so bei 100.000/µl herum. Also eigentlich noch kein Grund, panisch zu werden. Aber das weiß ich heute. Zu dem Zeitpunkt der Geburt von Zwilli 1 und 2 war ich verunsichert und ängstlich, was ja auch völlig normal ist, wenn man zum ersten Mal ein oder zwei Kinder in die Welt setzt. So ein HELLP-Syndrom ist nicht ohne. Darunter versteht man das Organversagen der Mutter, bei dem schnell Lebensgefahr besteht.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich besorgt und völlig ahnungslos. „Sie bleiben hier und wir beobachten Sie.“. Wenn ich heute das Wort „Beobachtung“ höre, nehme ich schnell Reißaus. Beobachten kann ich auch alleine. Ich kenne meinen Körper, jetzt, und habe einen Klinikanfahrtsweg von 25 Minuten. Nicht genug Zeit zum Sterben, in den meisten Fällen zumindest. Aber wenn dann die Weißkittel, die sich in medizinischen Themen ja doch am besten auskennen sollten, vor dir stehen und eine Erklärung unterschrieben haben wollen, in der steht, dass du auf eigene Gefahr das Krankenhaus verlässt, dann bist du doch ein wenig unsicher. Ich war das zumindest. Denn mein Hirn übersetzte diese Erklärung als: „Rabenmutter! Du willst nicht das Sicherste und somit nicht das Beste für deine Kinder. Du gehst ein Risiko ein.“ Also blieb ich. Es war die Nacht des Heiligen Abends. Und anstatt die Weihnachtsfeiertage gemütlich mit meiner Familie zu verbringen, lag ich in einem Krankenhausbett. Und es ging mir wieder richtig gut. Keine Schmerzen. Alles supi. Also fragte ich jeden Tag, ob ich nicht wieder nach Hause könne. „Ihre Thrombozyten… Auf eigene Gefahr…“, bekam ich zur Antwort. Und so vergingen die Tage. In der Nacht des 27. Dezembers gingen die Schmerzen wieder los. Ich tigerte die ganze Nacht den Krankenhausgang hoch und runter. Die Schwestern gaben mir eine Paracetamol. Prompt hörte ich mein Gewissen anklopfen. SCHMERZMITTEL! Die hatte ich während der gesamten Schwangerschaft so akribisch gemieden wie rohes Fleisch, Zigaretten, Alkohol, Kaffee und eigentlich komplett alles, was Spaß macht oder einem das Leben erleichtert. Im Nachhinein denke ich, ich hätte mir in diesen letzten 4 Wochen einfach hin und wieder mal so ein Pillchen einwerfen sollen und gut wär`s gewesen. Die Schmerzen erkläre ich mir heute einfach mit der hohen Belastung, der mein Körper in dieser Schwangerschaft ausgesetzt war. Dass er dabei etwas in die Knie geht, darf man ihm ja nicht verübeln. Auch bei der Besprechung der Geburt Nummer 2, bei der die leitende Ärztin hundertmal kompetenter wirkte, waren wir uns einig, dass HELLP-Syndrom ein wenig hochgestapelt war. Normale Ermüdungserscheinungen hätte man auch sagen können. Wollten die Ärzte damals aber nicht. Also beschloss die leitende Oberärztin damals, dass am 29. eingeleitet werden soll. Warum auch immer. Ich hätte laut Nein schreien sollen. Stattdessen saß ich da und nickte, irgendwie auch erleichtert bei dem Gedanken, dass das alles endlich ein Ende findet.
Als Credo möchte ich natürlich nicht sagen: „Ignoriert, was eure Ärzte sagen, die haben eh keine Ahnung.“. Ich bin ein großer Sympathisant der Schulmedizin. Seitdem ich in die Welt der Mamis eingetaucht bin, hab ich allerdings einige Erfahrungen gesammelt, die mich skeptisch gegenüber Medizinern werden lassen haben. So ein bisschen erscheint mir das ganze Gebiet allmählich wie eine Geisteswissenschaft. In meinem Philosophiestudium haben wir ähnlich diskutiert. „Joah, es könnte so und so sein, vielleicht aber auch ganz anders. Wir warten noch ein bisschen, wie sich die Sache entwickelt, und dann schauen wir mal.“, oder so ähnlich. Wenn ein Paar Eltern wird, dann liegt die gesamte Verantwortung bei ihnen. Es ist niemand da, der die wichtigen Entscheidungen abnimmt. Das ist auch gut so, aber beim Thema Gesundheit hört der Spaß leider auf. Da heißt es dann Meinungen einholen und abwägen. Mein Gefühl damals bei der Geburt von Zwilli 1 und 2 sagte mir bereits, dass hier keine so akute Dringlichkeit besteht, wie mir vorgegaukelt wird. Ich hätte noch Zeit gehabt. Wenn ich mir die Schwangerschaft von Zwilli 3 und 4 anschaue, wahrscheinlich sogar noch viel Zeit. Hätte ich auf mein Bauchgefühl gehört und mich nicht von außen beeinflussen lassen, hätte die Geburt vielleicht anders verlaufen können. Deswegen: Hört auf euch, liebe Mamas da draußen! Wenn ihr euch unsicher seid, wartet einfach noch etwas ab. (Außer in dringlichen Fällen natürlich!) Lasst euch nicht drängen. Krankenhäuser wollen gern planen. Sie wollen ihre kleinen oder großen Dienstpläne machen und zu festen Zeiten gewisse Teams vor Ort haben. Entbindet ihr schön brav an einem Montagmorgen ab 9.00 Uhr, passt das richtig gut. Das soll kein Vorwurf an die Krankenhäuser sein, ich plane auch gern. Ich liebe eine gute Orga mit Struktur, wenn ich einen Plan von oben nach unten abarbeiten kann. Aber beim Thema Geburt ist es fürs Gefühl einfach am schönsten, wenn die Natur entscheiden darf. Auch wenn es Sonntagnacht um halb 3 ist.

Heute werde ich Mama

Also ging es am 29. Dezember um 9.00 Uhr los. Die unsympathische Ärztin kam ins Behandlungszimmer, im Schlepptau eine zierliche Assistenzärztin und eine ältere, stramme Krankenschwester. Unter Anleitung schmierte mir die Assistenzärztin ein Gel auf den Muttermund, das den Geburtsvorgang einleiten sollte. Und dann warteten wir. Und warteten. Mittlerweile war der Spätdienst gekommen. Eine überaus freundliche Hebamme aus meiner Heimat, dem Osten Deutschlands, betrat mit einem Hebammenlehrling den Kreißsaal, wo ich wieder mal am CTG hing. Wir verstanden uns sofort super. Mittlerweile hatte ich leichte Wehen und eine Muttermundöffnung von 2 bis 3 Centimetern. Diese Hebamme hatte eine total beruhigende Wirkung auf mich. Ständig fragte ich sie, wie schlimm die Schmerzen noch werden und sie sagte stets: „Du machst das super. Das sind schon starke Wehen, soooo viel schlimmer wird`s nicht.“, das beruhigte mich total. Gegen 22.30 Uhr endete die Schicht dieses tollen Teams, das schon alles perfekt für meine Spontangeburt vorbereitet hatte. Der Muttermund war 6 Centimeter geöffnet, die Handtücher lagen unter der Wärmelampe bereit, die Armbändchen für Zwilli 1 und 2 waren geschrieben. Dann betrat eine burschikose, streng wirkende, neue Hebamme den Raum, und begrüßte mich schroff mit den Worten: „Na, bei Ihnen geht aber auch nix los, da müssen wir wohl mal was machen.“ Was? Bis gerade eben hatte ich noch das Gefühl, alles läuft genau so, wie es laufen soll und plötzlich war an der Situation etwas falsch? Kurze Zeit später betrat sie den Raum mit der grießkrämigen Oberärztin und der schüchtern wirkenden, kleinen Assistenzärztin. „Dann sprengen wir mal die Fruchtblase.“, hieß es kurz und knapp. Dieser Schritt wäre nicht nötig gewesen und machte mir auf seltsame weise Angst. Mal ganz davon abgesehen, dass es sich total unangenehm anfühlte. Gefühlte 200 Liter Fruchtwasser liefen aus mir heraus und ich fühlte mich wie beim Pinkeln nach 30 Kannen Tee. Wieder passierte nicht viel. Die Wehen waren schwach. In meinen Augen ein weiteres eindeutiges Zeichen dafür, dass Zwilli 1 und 2 noch so gar keine Lust hatten, aus mir heraus zu schlüpfen. Etwa eine halbe oder eine Stunde später fühlte die grobe Oberärztin noch einmal die Öffnung des Muttermundes, die sich leider nicht vergrößert hatte. „Wir hängen sie an den Wehentropf!“, befahl sie im Oberfeldwebel-Ton. Diese Fülle an Maßnahmen, die seit dem Teamwechsel ergriffen wurden, bereitete mir unvermeidlich Sorgen. Sie gab mir das Gefühl, dass der Geburtsvorgang nicht so verläuft, wie er verlaufen sollte. Dass es aber nicht selten auch Geburten gibt, bei denen sich die Kinder ganz viel Zeit lassen, manchmal mehrere Tage, erwähnte hier niemand mehr. Auch der Wehentropf führte nicht zu dem von den Ärzten erhofften Highspeed-Ziel, weshalb schließlich die Worte ausgesprochen wurden, die ich unter keinen Umständen hatte hören wollen: „Es ist wohl an der Zeit, einen Kaiserschnitt vorzubereiten.“. Ich war total überfahren und todunglücklich darüber, dass ich anscheinend nicht gebacken bekam, was Milliarden Frauen vor mir ohne Probleme geschafft haben. Ich schaute fragend in die Augen meines Mannes. Er sah genauso ratlos aus, wie ich mich fühlte. Nun muss man dazu sagen, dass mein geliebter Gatte eher Typ Hypochonder ist. Lieber immer den sicheren Weg. Die Ärzte werden es schon wissen. Für Rebellion und „Braking the rules“ ist er weniger bekannt. Was innerhalb unserer Ehe ein absoluter Gewinn ist (Ich breche nämlich viel zu gern alle Regeln!), war in diesem Moment keine Hilfe für mich. Aber was sollte er auch tun? Er konnte nicht fühlen, was ich fühle, oder wissen, was aus medizinischer Sicht das Beste ist oder wissen, welche Entscheidung in welchen Ausgang münden wird. Aber ich hätte an so vielen Punkten Stopp sagen können und könnte mich heute in den Allerwertesten beißen, das nicht getan zu haben. Ich bin mir sicher, es hätte alles auf natürlichem Wege funktionieren können.

Dann also doch ein Kaiserschnitt

Also wurde ich für die OP vorbereitet. Und plötzlich gingen sie los: Echt starke Wehen. Als ich mich auf den OP-Tisch wälzte, schnürten mir die Wehenschmerzen fast die Luft ab. Und spätestens da hätte ich sagen können: „Halt! Jetzt geht`s doch los! Wir schaffen es auch ohne Skalpell!“. Tat ich aber nicht. Jetzt war schließlich schon alles vorbereitet. Der Anästhesist stand in den Startlöchern, das Team war bereit, die Sterilität des Raumes dahin. Eine der OP-Schwestern rasierte meinen Intimbereich, was mir äußerst unangenehm war. Seit etwa 3 Monaten hatte ich meine Vagina nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil der riesige Bauch sie komplett überdeckte. Dementsprechend gering war mein Bedürfnis danach, möglichst stylisch im Schambereich auszusehen. Jetzt war also alles vorbereitet und ich hätte mich nie im Leben getraut, noch Stopp zu sagen. Das hätte meine Erziehung nicht zugelassen, schließlich hatten hier alle viel Arbeit mit mir. Viel Nachdenken konnte ich auch gar nicht, da saß die Betäubung schon. Von den Brüsten abwärts spürte ich nichts mehr. Die Ärzte schnitten und werkelten und keiner erzählte mir, was da unten genau abging. Ich fühlte mich sehr einsam und so, als wäre nicht nur mein Körper, sondern auch mein Geist betäubt. Ich stierte in das grelle Licht der Lampen über mir und sagte nicht viel. Mein Mann streichelte meine Hand und versuchte, mir aufbauende Worte ins Ohr zu flüstern. Doch das half nichts. Ich war müde, enttäuscht und sauer, so sauer. Auf mich. Ich hatte komplett versagt. Ich bin eine Frau und auf dieser Welt, um Kinder zu gebären, und nicht einmal das konnte ich. Lange Zeit nach der Geburt hatte ich mit diesen Gefühlen noch zu kämpfen.

Dann fingen die Ärzte an, an mir zu ziehen. Es ruckelte und der OP-Tisch wackelte hin und her. Ich fühlte mich, wie ein Stück Vieh beim Schlachter. Da hörte ich Zwilli 1 sanft schreien. Ich muss sagen, dieser Moment war wirklich schön. Da war mein Kind. Ich wollte es sehen. Doch erst einmal musste es zur Erstuntersuchung zum Kinderarzt, der im Raum nebenan wartete. Eine Minute später hörte ich die Ärzte sagen: „Und da ist Nummer 2.“. „Wieso schreit er denn nicht?“, fragte ich unsicher. Doch in diesem Moment begrüßte auch Zwilli 2 mich mit einem sanften Ruf. Beide lebten schon mal. So weit, so gut. Ich war trotzdem unglücklich. Kurze Zeit später wurde mir Zwilli 1 in den Arm gelegt. Ich konnte den Moment überhaupt nicht begreifen. Ich hatte Angst vor diesem Kind. „Und wenn es jetzt weint? Was mache ich denn dann? Ich kann mich ja nicht einmal bewegen.“, dachte ich. Dann kam Zwilli 1 zu Papa und Zwilli 2 zu mir. Er sah ganz anders aus als sein Bruder. Ich schaute ihn einfach nur an. Und war sprachlos. Überwältigt davon, jetzt Mutter zweier Kinder zu sein, und unfassbar enttäuscht über den Weg da hin.

Dann wurden mir Zwilli 1 und 2 wieder entrissen. Wir waschen sie für Sie, ziehen ihnen was Warmes an und legen sie noch ein wenig ins Wärmebettchen. Hallo? Wieso das denn? Ein Baby sollte nach der Geburt bei seiner Mutter sein, die Wärme ihrer Haut spüren, so eng es nur geht. Aber ich ließ auch das geschehen. Also wurde ich zugenäht, abgekoppelt von allen Schläuchen und in eine Art Aufwachraum gebracht. Mein Mann zog sich um und kam zu mir. Kurze Zeit später wurden meine Babys in einem Wärmebett zu uns geschoben. Und da lagen wir nun alle. Ich schaute Zwilli 1 und 2 an und war regungslos, völlig überfordert. Ich wartete die ganze Zeit darauf, dass jemand käme, der mir jetzt eine Gebrauchsanweisung gibt. Müssen die Kinder in diesem Wärmebettchen bleiben, weil es irgendwie medizinisch relevant ist? Kann ich sie auf den Arm nehmen? Wenn ja, wie, ohne sie kaputt zu machen? Das war alles zu viel für mich. Als die burschikose, unfreundliche Hebamme endlich zu uns kam, half sie uns, die Babys auf den Arm zu nehmen. Beide waren völlig gesund und es gab eigentlich keinen Grund, sie in Watte zu packen. Aber vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche handelt es sich per Definition um Frühchen. Und die kommen standardmäßig ins Wärmebettchen.

Irgendwann ließ meine Spinalanästhesie nach und mein ganzer Körper begann wie wild zu zittern. Mein Bauch tat unheimlich weh. Ich fühlte mich hundeelend. „Tja, Liebchen, ich hab dir schon den gesamten Schmerzmittelcocktail reingepfiffen.“, erklärte mir eine opulente Krankenschwester auf der Wochenstation. „Wir nehmen die Babys jetzt erst mal zu uns und du schläfst dich aus.“. Wieder hätte ich Nein sagen sollen. Babys gehören zu ihrer Mama. Aber wieder tat ich es nicht. Ich lag da im Dunkeln meines Familienzimmers, hörte meinen Mann bald schlafatmen und lag da. Hellwach. Mit Schmerzen. Am Körper und vor allem in der Seele.

Viele Frauen erleiden Geburtstraumata, an denen sie lange zu knabbern haben. Nun bin ich zum Glück mit einer hohen Resilienz ausgestattet worden und habe gelernt, damit zu leben. Zwilli 1 und 2 sind wunderbare Jungs geworden, für die sich dieser Schreckensweg gelohnt hat. Aber vor der Geburt von Zwilli 3 und 4 machte ich mir oft Gedanken darüber, dass so etwas kein zweites Mal passieren würde. Diesmal würde ich das Zepter in die Hand nehmen und sagen, wo`s langgeht. Oder eben die Mädels. Und das taten sie auch. Wenn auch zunächst unter keinen guten Vorzeichen.

Beim zweiten Mal wurde alles gut

Keine 10 Pferde sollten mich wieder in dieses Krankenhaus bringen. Also rief ich dort an, um mir einen Geburtsbericht schicken zu lassen. Das empfahl mir die Dame des potenziellen anderen Krankenhauses, in dem ich Geburt Nummer 2 besprechen wollte. Eine Zwillingsmama hatte es mir empfohlen. Nach meinem Kaiserschnitt und erneuter Gemini-Schwangerschaft kam ein Geburtshaus leider nicht mehr infrage. Diesmal hätte ich das eiskalt durchgezogen. Als ich also in dem Krankenhaus, in dem Zwilli 1 und 2 geboren wurden, anrief, um besagten Geburtsplan anzufordern, erkannte mich die Frau am anderen Ende der Leitung sofort. Es war eine alte Freundin meines Mannes, mit der er in seinem frühen Erwachsenenalter oft um die Häuser gezogen war. Ich kannte sie bereits durch Geburt Nummer 1, denn sie war die Chefarztsekretärin. Ich erklärte ihr die Situation und sie fragte sofort, warum ich nicht wieder zu ihnen käme zum Entbinden. Direkt antwortete ich mit der Wahrheit und sagte ihr, dass ich mit meinem behandelnden Team überhaupt nicht zufrieden gewesen sei. Ich war überrascht, als sie mir erzählte, dass sie das ganz oft gehört habe und dass ich mir jetzt aber keine Sorgen mehr machen müsse, denn es gäbe eine neue Oberärztin und die sei ganz anders und auch privat eine gute Freundin von ihr. Sie hätte auch eine überaus geringe Kaiserschnittquote. Darüber hinaus könne ich mit der Hebamme, mit der ich im Spätdienst so gut zusammengearbeitet hatte, sprechen und sie würde vielleicht als meine eigene, private Beleghebamme einspringen. Das klang alles sehr gut. Also ließ ich mich darauf ein und hatte einen Termin für ein Gespräch mit der neuen Ärztin. Sie war mir sofort sehr sympathisch. Wir gingen gemeinsam den Geburtsbericht durch und waren uns in jedem Punkt einig. Scheiß Team, übereilte Entscheidungen, unnützer Kaiserschnitt. Und obwohl das nicht jeder Arzt macht, sagte sie mir zu, eine Spontangeburt mit Zwilli 3 und 4 trotz des „Zustands nach Kaiserschnitt“ anzustreben, vorausgesetzt, beide Kinder sind in etwa gleich entwickelt und haben die richtige Lage. Ich war so glücklich. Direkt im Anschluss rief ich bei meiner Lieblingshebamme an, die sich tatsächlich auch an mich erinnerte und ebenfalls betonte, dass sie sehr überrascht war, zu hören, dass meine erste Geburt in einem Kaiserschnitt geendet hatte. Sie erklärte sich bereit, meine zweite Geburt als meine Beleghebamme von Anfang bis Ende zu begleiten. Diesmal musste es einfach klappen.

Tat es aber nicht. Die Mädels in meinem Bauch hatten andere Pläne. Sie blieben stur in Beckenendlage liegen. Beide. Niemand erklärte sich in meinem Fall bereit, eine Drehung im Bauch zu machen, und somit war die Spontangeburt gestorben. Also wurde ein Kaiserschnitt in der 39. Schwangerschaftswoche geplant. Das machte mich zwar traurig, weil nun eindeutig fakt war, dass ich niemals in meinem Leben eine Spontangeburt erleben werde (Eine dritte Schwangerschaft wird es ganz sicher nicht geben!), aber irgendwie beruhigte mich der Gedanke, dass es diesmal die Babys waren, die die Entscheidung trafen. Außerdem half mir, dass ich mich im Vorfeld darauf einstellen konnte, und ich mich nicht so überfahren fühlte.

Ich bin dann mal weg – fix entbinden

Irgendwie war das schon komisch. Wir fahren jetzt mal los, um 9.00 Uhr ist der Termin, an dem meine Kinder auf die Welt geholt werden. Ein seltsames Gefühl. Ich hatte Zwilli 1 und 2 lange darauf vorbereitet. Sie schliefen noch, als wir losfuhren. Oma sollte die Betreuung an diesem Tag übernehmen. Es war Freitag. Ich schaute Zwilli 1 und 2 noch einmal beim Schlafen zu und musste plötzlich fürchterlich weinen. Die gesamte Autofahrt über weinte und weinte ich. Nun würde sich alles ändern. Unsere Exklusivzeit war jetzt vorbei. Zwilli 1 und 2 mussten meine Aufmerksamkeit ab jetzt teilen – und das gleich mit zwei Babys. Die Emotionen sprudelten aus mir heraus.

Im Krankenhaus angekommen, wurde ich schon sehnsüchtig erwartet. Viele freundliche Gesichter empfingen mich und irgendwie erschien es mir hier diesmal wärmer als beim letzten Mal. Fix wurde ich für die OP fertig gemacht, den Intimbereich hatte ich mir diesmal selbst rasiert. Auch mein Mann war gut drauf und wurde direkt zum Anziehen steriler Kleidung geschickt. Ein Witzchen hier, ein Smalltalk da. „Ach, zum zweiten Mal Zwillinge, das haben wir hier aber auch nicht so oft.“, aus allen Ecken. Manche erinnerten sich wohl noch an mich. Ich mich aber an die meisten Gesichter nicht mehr. Wahrscheinlich hatte ich alles verdrängt. Per Zufall hatte meine geliebte Wunsch-Ossi-Hebamme an diesem Morgen Dienst. Das war wirklich Zufall, denn bei einem geplanten Kaiserschnitt war eine mich bei der Geburt betreuende Hebamme nicht nötig. Die Spinalanästhesie wurde gesetzt, wobei der Anästhesist in meinem Rücken herumstocherte, als hätte er das noch nicht so oft gemacht. Als die Betäubung endlich saß, wo sie sitzen sollte, fühlte ich eine wohlige Wärme. So ein OP-Saal ist  wahrlich nicht sonderlich kuschelig. Außerdem neige ich in Situationen, in denen es kein Entkommen gibt, zu leichten Panikattaken. Deshalb hatte ich mir so eine OP bei Bewusstsein immer schrecklich vorgestellt. Bei Zwilli 1 und 2 war ich so im Tunnel, dass ich für derartige Gedanken gar keine Zeit hatte.

Doch jetzt lag ich da und fühlte mich echt wohl. Ich witzelte mit dem Anästhesisten und fragte den Ärzten Löcher in den Bauch. Was geschieht jetzt? Was machen Sie gerade? Wie läuft es da unten? Meine Lieblingshebamme hielt mich auch auf dem Laufenden und stand mir gut zur Seite. Dann war es so weit und die Ärzte sagten mir, sie würden den führenden Zwilling nun herausholen. Sofort hörte ich Zwilli 3 Hallo sagen. Diesmal hielten uns die Ärzte das Baby sogar in die Luft. Mit Nabelschnur und allem Pipapo konnten wir sehen, welchen Gesichtsausdruck Zwilli 3 beim Anblick unserer Welt machte. Wie heute noch war dieser etwas skeptisch. Dann kam unser Mädchen zum Kinderarzt, der schnell die U1 durchführte. Jetzt sollte Zwilli 4 an der Reihe sein. Wie im echten Leben zierte sie sich etwas und wollte nicht so richtig aus mir heraus. „Sie verkriecht sich.“, witzelten die Ärzte. Im Gegensatz zu den Geburten von Zwilli 1 und 2, zwischen denen genau 1 Minute lag, brauchte Zwilli 4 drei Minuten länger als ihre Schwester, um den Weg heraus zu finden. Auch sie durften wir direkt bestaunen, bevor sie kurz vom Kinderarzt durchgecheckt wurde. Zwilli 3 und 4 wurden in Schwangerschaftswoche 39 geboren, deshalb galten sie nicht mehr als Frühchen und das ließ alle irgendwie lockerer mit ihnen umgehen, als das damals bei Zwilli 1 und 2 der Fall war. Ganz schnell bekamen wir die beiden in unsere Arme und ließen sie direkt nie wieder los. Als mein Mann sich umziehen ging, wurde ich im Krankenhausbett, ein Baby links, ein Baby rechts, in mein Zimmer geschoben. Ich war überglücklich und hatte die ganze Zeit nur im Kopf, dass Zwilli 1 und 2 kommen müssen, um ihre Schwestern zu begrüßen. Das geschah dann auch am Nachmittag. Ich werde nie den Moment vergessen, als sie schüchtern durch die leicht geöffnete Tür lugten, mich sahen und freudig auf mich zugestürmt kamen. Dann setzten sie sich auf mein Bett  und bekamen ihre Schwestern in den Arm gedrückt. Ich war so glücklich und so stolz. Ich war jetzt eine vierfache Mutter und wäre am liebsten direkt mit nach Hause gegangen.

Weil ich wollte, dass Zwilli 1 und 2 gut betreut waren, schickte ich den Papa mit ihnen heim und empfing meine beste Freundin, die für zwei Nächte in unser Familienzimmer einzog. Wie immer, wenn sie und ich zusammen sind, wurde aus der Wochenbettstation schnell eine Jugendherberge, nur ohne Alkohol und Zigaretten. Wir hatten jede Menge Spaß und lachten viel. Dabei mussten wir uns um keinen Haushalt kümmern und bekamen unser Essen gekocht. Es war einfach wunderschön. Zwilli 3, 4 und ich lagen den ganzen Tag in unserem Bett, ungewaschen und nackt. Sie nuckelten an meiner Brust, was das Zeug hielt und der Milcheinschuss kam prompt am zweiten Tag. Zwilli 1 und 2 hatte ich bis dato ab und an noch in den Mittagsschlaf gestillt, weshalb die Milch wahrscheinlich auch nie so ganz versiegt war. Immer mal wieder kam eine Krankenschwester oder Hebamme für die Routineuntersuchung vorbei und fragte eindringlich, ob ich nicht was zum Zufüttern bräuchte, ob ich die Babys nicht mal waschen und anziehen wolle oder sie für ein paar Stündchen in den Babywarteraum bringen will, um etwas zu schlafen. Nein, wollte ich nicht. Ich war rundherum zufrieden und wusste, wie der Hase läuft. „Eine so entspannte Zwillingsmama, die nie nach Hilfe klingelt, haben wir hier selten.“, lobten sie oft. Bei Zwilli 1 und 2 betätigte ich die Ruftaste etwa alle halbe Stunde. Das Einzige, was mir wirklich fehlte, waren Zwilli 1 und 2, die mich natürlich fleißig besuchten. Aber jedes Mal, wenn sie wieder gingen, musste ich einige fette Krokodilstränen verdrücken. Und so war ich wahnsinnig froh, als ich drei Tage später nach Hause gehen konnte. Hinein in mein Leben mit vier kleinen Kindern.